Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Zu Fuß zum Brockengipfel
05.08.2024
Heute passt alles! Es ist Montag, die Sonne versteckt sich noch hinter Wolken, es ist angenehm frisch und die
Schulferien sind zu Ende. Rentner haben wieder sturmfrei auf den Wanderwegen. Meine Harz-Karre steht am
Ehrenfriedhof Oderbrück und ich starte zum Brocken. Habe den Wunsch lange mit mir über die Harzhöhen geschleift
und mich mit künstlicher Hüfte auf schwierigen Strecken getestet. Es ist früh am Morgen. Auf mich warten rund sieben
Kilometer und die führen stetig aufwärts. Später auch wieder abwärts. Der Berg ruft.
Der Parkplatz befindet sich quasi versteckt im Unterholz. Von hier geht es gleich mal steil 300 Meter in die Höhe bis zum
kleinen Ehrenfriedhof. Dort werde ich auf dem Rückweg mal hinschauen. Ich muss zunächst einmal den richtigen Tritt
finden und ein wenig Strecke hinter mich bringen. Kiesel, Sand und Steine knirschen unter den Schuhsohlen, ich bin
allein unterwegs. Zunächst steht noch viel totes Holz am Wegesrand, doch überall verdrängen junge Bäume und
Sträucher die alten Reste. Es grünt und es blüht auch überall. Den Weg zum Dreieckigen Pfahl bin ich schon einmal
gegangen. Die Schutzhütte lasse ich heute rechts liegen und gehe nun nur noch durch sattes Grün. Nichts als urbane
Natur überall und der Weg führt hier mitten durch den Bodesprung. Irgendwo hier im dichten Unterholz und dem Moos
entspringt das Flüsschen. Danach laufe ich auf Betonplatten, einem ehemaligen Grenzweg im Harz. Nach einer Stunde
ist der Goetheweg erreicht. Nahe der Schutzhütte Eckersprung sitzt ein Fuchs auf dem Weg - der frühe Wanderer trifft
Reinecke. Schnappschuss gelungen, ich mache Rast.
Nach wenigen Minuten laufe ich wieder auf Beton, aber diesmal verdammt steil. Mein Herzrhythmus pocht in den
Adern, der Schweiß drängt aus allen Poren und die Muskeln meckern. Nur zehn Minuten Quälerei, dann habe ich die
Gleise der Brockenbahn erreicht. Hier ist eine Ausweichstelle, zweigleisig. Der von oben kommende Zug muss auf den
warten, der von Schierke angeschnauft kommt. Auf dem Rückweg werde ich das live erleben dürfen. Jetzt aber nehme
ich den Wanderweg, der an den Gleisen entlang weiter zum Brocken führt. Ich wandere jetzt auf 940 Meter, rechts die
Gleise, links der Wald und manchmal eine grandiose Aussicht auf den Achtermann, auf Torfhaus und die Berge dahinter.
Es ist wundervoll, das alles in Ruhe genießen zu können und noch immer ist es still in dieser Höhe. Nur ein Mal bin ich
überholt worden und dieser nette Wanderer hat, auf meine Bitte hin, ein Foto von mir gemacht – als Beleg und
Erinnerung.
An diesen Bahngleisen entlang zu laufen, ist ein Erlebnis besonderer Art. Besondere Natur, besondere Spurweite,
besondere Höhe und besondere Aussichten. Wer sich auf diesem Terrain bewegt, hat auch besonderes vor, denke ich.
Für mich ist diese Wanderung auch eine sehr besondere. Tatsächlich geht mir dabei vieles durch den Kopf: Dankbarkeit,
Demut und Genuss. Es gäbe einige, mit denen ich hier und jetzt gern Seite an Seite gehen würde, aber die sind alle
nicht mehr dazu in der Lage ….
Nach zwei Stunden ist das Ende des Wanderweges erreicht. Am Rastplatz Brockenspitze trifft er auf die Brockenstrasse,
die von Schierke hinauf führt. Fester Asphalt, statt Sand und Steine unter meinen Füßen. Zudem ist die Brockenstrasse
ziemlich steil. Der letzte Kilometer verlangt dem Wanderer eine Menge ab. Mir auch und all denen, die mir später hier
entgegen kommen werden. Gesichter können eine Menge erzählen, ohne zu sprechen! Ich quäle mich in hundert Meter
Etappen über die Tausend-Meter-Höhe, nutze jede schöne Aussicht zum Verschnaufen. Genau 10.30 Uhr gehe ich am
höchsten Bahnhof Mitteldeutschlands vorbei die letzten Meter bis zum Plateau. Nach zweieinhalb Stunden ist der Berg
bestiegen und ich bin der glücklichste Rock-Rentner des wilden Ostens. Mehr geht gerade nicht, denn der schönste Sieg
ist der über sich selbst.
Außer einer leicht vernebelten Aussicht, gibt es nicht viel zu sehen. Ilsenburg und Wernigerode sind gut zu erkennen,
auf der anderen Seite Torfhaus, Braunlage und der Wurmberg. Wenn man überall dort schon wandernd unterwegs war,
erkennt man auch die vielen Details, die man schon besuchte. Das genieße ich einige Minuten und auch die Foto-
Session am Brockenstein, um die ich eine Gruppe Wanderer bitte. Schließlich möchte ich ja auch einen Beleg für meinen
Übermut vorweisen können. Ansonsten ist da oben eine große Baustelle zu „bestaunen“. Als ein zweiter Zug im Bahnhof
einfährt, gönne ich mir das Spektakel. Ich erinnere mich, dass ich auch schon mit der Bahn, und Lily auf dem Schoß,
hier ausgestiegen bin. Da war es Winter im kalten Januar und Sommer mitten im heißen Juli. Ein Sonderstempel vom
Kräutergarten wandert ins Wanderheft, ein Harzstein bleibt im Kasten zurück und ein zweiter landet in der Hand eines
kleinen Mädchens. Mit dem Bild eines glücklichen Kindes im Kopf mache ich mich zur Mittagszeit wieder auf die Piste.
Abwärts ist deutlich schwieriger, nicht leichter. Mit jedem Schritt bremst der Körper und dabei landet ein kleiner Stoß
unmerklich in den Gelenken. Die summieren sich und dann spürt man seine Knochen. Daher gehe ich langsam in
kleinen Schritten. Den entgegen kommenden Wanderern schaue ich in die Gesichter und kann darin lesen. Mancher tut
mir leid, andere bewundere ich, doch letztlich hat jeder für sich entschieden, einen der Wege zum Plateau zu gehen.
Jeder von ihnen hat Respekt verdient!
Auf dem Rückweg sehe ich die gleiche Strecke nun ganz anders, entdecke noch mehr Details, erfreue mich an der
schönen Natur. Es ist schlichtweg magisch, diese Wege zu gehen. So ungefähr muss sich auch Pilgern anfühlen. Der
Weg ist das Ziel und das Überwinden eigener Schwächen der Lohn. An der Ausweichstelle beobachte ich, zusammen
mit anderen, wie der Zug von oben, den Zug von Schierke kommend, passieren lässt. Nun bin ich nicht mehr allein und
auf dem letzten Streckenabschnitt zum Dreieckigen Pfahl auch nicht. Aber ich lasse mir Zeit, viel Zeit, obwohl die Füße
ganz allmählich über die Mühsal klagen. Den letzten Kilometer geht der Körper selbständig, mein Kopf hat abgeschaltet.
Nach sechs Stunden und 15 Kilometern ist der Ausgangspunkt wieder erreicht. Nicht einmal schlapp, aber doch froh,
heil unten angekommen zu sein, begebe ich mich wieder auf die Piste - der Dusche entgegen.